Aktuelles

– Akt 2018 Nr. 2 –

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute fahren wir fort, über die unendliche Frage zu berichten, ob und in welcher Höhe das Finanzamt (FA) uns Zinsen berechnen darf bzw. ob und in welcher Höhe wir Zinsen vom FA bekommen. Es geht also um das unendliche Thema

Zinszahlungen an das Finanzamt (V)

Damit zum einen die steuerrechtliche Frage nicht in Vergessenheit gerät und wir zum anderen natürlich auch die verständlichen Wünsche der von uns betreuten Reisebüros und Reiseveranstalter durchsetzen können und müssen, wollen wir Ihnen heute einen aktuellen Überblick über die finanzgerichtlichen Entscheidungen der letzten Jahre geben, ohne dass wir den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. In zeitlicher Reihenfolge:

1. Das Thüringer FG entschied im Urteil vom 22.4.2015:

(1) Schuldhafte Verzögerungen des FA im Besteuerungsverfahren sind grundsätzlich kein Grund für den Erlass von Zinsen.

(2) Bei der Festsetzung von Nachzahlungszinsen für den Zeitraum 2006 bis 2011 bestehen keine rechtlichen Bedenken an der Höhe des gesetzlich festgelegten Zinssatzes von 6 % jährlich.

Aber:
Gegen dieses Urteil wurde beim BFH Revision eingelegt.

 

2. Das FG Düsseldorf entschied im Urteil vom 10.3.2016:

(1) Für den Veranlagungszeitraum bis Juli 2013 bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinsen.

(2) Von der Verzinsung kann nur abgesehen werden, wenn ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt hat.

(3) Eine Verzögerung bei der Steuerfestsetzung begründet keinen Erlass von festgesetzten Zinsen wegen sachlicher Unbilligkeit.

Aber:
Auch gegen dieses Urteil wurde vom unterlegenen Steuerpflichtigen beim BFH Revision eingelegt und dieser entschied im Urteil vom 9.11.2017:
Die Höhe der Nachforderungszinsen für in das Jahr 2013 fallende Verzinsungszeiträume verstößt weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen das Übermaßverbot.

3. Das FG Köln entschied im Urteil vom 27.4.2017:

(1) Jedenfalls für den Verzinsungszeitraum 1.1. bis 29.9.2014 bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des im Gesetz festgelegten Zinssatzes von 0,5 % pro Monat.

(2) Dieser Zinssatz ist als eine vom Gesetzgeber bestimmte Rechengröße rechtstheoretisch keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich.

Und:
Das Urteil des FG Köln ist rechtskräftig!

4. Das FG München entschied im Urteil vom 21.7.2017:

(1) Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen ist auch im Fall einer unverhältnismäßig langen Dauer einer Betriebsprüfung rechtmäßig.

(2) Es kommt nicht auf die Ursachen des durch die Regelung der Abgabenordnung (AO) typisierten ausgeglichenen Zins- und Liquiditätsvorteils an, so dass auch ein Verschulden in Form eines vorwerfbaren Verhaltens eines Finanzbeamten für die Frage der Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen unbeachtlich ist.

Aber:
Soweit derzeit bekannt, ist dieses Urteil vom FG München vorläufig nicht rechtskräftig.

5. Das FG Münster entschied im Urteil vom 17.8.2017:

Die Höhe der Nachzahlungszinsen von 6 % ist für die Jahre 2012 bis 2015 verfassungsgemäß.

Aber:
Gegen dieses Urteil ist die Revision beim BFH anhängig, der muss jetzt über folgende Frage entscheiden:
„Ist der gesetzliche Zinssatz von 6 % im Jahr verfassungswidrig im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz und das Übermaßverbot?“

6. Das FG Berlin-Brandenburg entschied im Urteil vom 14.11.2017:

Die Höhe des Zinssatzes von 6 % ist für den Zeitraum 2014 bis 2016 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Aber:
Gegen dieses Urteil wurde beim BFH Revision eingelegt.

7. Das FG Münster entschied im Urteil vom 13.12.2017:

In Übereinstimmung mit dem 10. Senat das FG Münster (s. Tz. 5) hält auch der 7. Senat des FG Münster die Höhe der Nachzahlungszinsen für den Zeitraum April 2014 bis April 2015 für verfassungsgemäß.

Aber:
Soweit derzeit bekannt, ist dieses Urteil vom FG Münster vorläufig nicht rechtskräftig.
Anmerkungen:
Aus der Aufnahme in die BFH-Datenbank vom 20.1. und 20.12.2017 ist uns bekannt, dass gegen zwei weitere Entscheidungen des FG München Revision eingelegt wurde.

a) Auf die Entscheidung des FG München vom 21.5.2017 hat der BFH die Revision zugelassen und muss jetzt die Frage beantworten:
„Verletzt die Höhe des Zinssatzes von 6 % pro Jahr das Rechtsstaatsprinzip oder die Eigentumsgarantie für Zeiträume ab Januar 2012?“

b) Auf die Entscheidung des FG München vom 30.6.2016 hat der BFH die Revision zugelassen und muss jetzt die Frage beantworten:
„Ist der gesetzliche Zinssatz für Aussetzungszinsen von 6 % pro Jahr verfassungswidrig im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Übermaßverbot?“

Fazit:

Wenn Sie also in diesen Tagen einen Steuerbescheid bekommen, in dem das FA Nachzahlungszinsen gegen Sie festsetzt, dann prüfen Sie diesen Steuerbescheid bitte ganz genau. Eigentlich, aber eben nur eigentlich müsste der Zinsbescheid als „vorläufig“ ergehen, weil ja immer noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob Zinsen in Höhe von 6 % pro Jahr für die letzten Jahre rechtens sind.

Wenn also, was zu vermuten/zu befürchten ist, der Steuerbescheid hinsichtlich der Zinshöhe nicht vorläufig ergeht, dann legen Sie gegen diesen Steuerbescheid einen Rechtsbehelf ein („Einspruch“), Sie brauchen diesen Rechtsbehelf auch gar nicht ausführlich zu begründen. Sie haben nämlich das Recht, unter Hinweis auf die, z.B. o.g., beim BFH anhängigen Revisionen das „Ruhen des Verfahrens“ zu beantragen.
Dem muss das FA stattgeben, dies steht in § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO), dem, wenn man so will, dem Grundgesetz des gesamten Steuerwesens.
Bitte vernachlässigen Sie die Zinsproblematik nicht. Bei ganz langwierigen Verfahren kann es nämlich zum Schluss soweit kommen, dass die Zinsen höher sind als die Steuernachzahlung!

Welche Möglichkeiten gibt, um Zinszahlungen zu umgehen?

– Reisebüros und Reiseveranstalter sollten bei einer zu erwartenden Steuernachzahlung ihre Steuererklärungen so früh wie möglich abgeben, um zu ermöglichen, dass die Steuerfestsetzung vor Beginn des Zinslaufs von 15 Monaten durch das Finanzamt möglich wird.

– Außerdem kann es ratsam sein, noch rechtzeitig eine Heraufsetzung von Vorauszahlungen (zur Einkommensteuer, zur Körperschaftsteuer, ggf. zur Gewerbesteuer) zu beantragen und zu leisten. Die dann neu festgesetzten Vorauszahlungen mindern dann die Bemessungsgrundlage für die Nachzahlungszinsen.

– Ist aber keine Heraufsetzung von Vorauszahlungen mehr möglich, so kommt sowohl eine freiwillige Vorauszahlung als auch eine freiwillige Nachzahlung in Betracht. Diese mindert zwar

– mangels Festsetzung der Vorauszahlungen –

nicht die Bemessungsgrundlage für die Nachzahlungszinsen, sie ermöglicht aber den Erlass von Nachzahlungszinsen.

Und hierzu wollen wir einmal den Anwendungserlass zur AO zitieren, dort heißt es:
„Zinsen … sind auch dann festzusetzen, wenn vor Festsetzung der Steuer freiwillige Leistungen erbracht werden. Nachzahlungszinsen

sind

aber aus tatsächlichen Billigkeitsgründen

zuerlassen

, soweit der Steuerpflichtige auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Steuerzahlungsforderung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Zahlungen erbracht und das Finanzamt diese Leistungen angenommen und behalten hat.“

Gestatten Sie, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, an sowohl einem stark vereinfachten als auch stark übertriebenen

Beispiel

eine extreme Zinsbelastung darzustellen:

Bei einem Reisebüro und Reiseveranstalter prüft das Finanzamt die Jahre 2000, 2001 und 2002. Nach langen Verhandlungen mit dem Betriebsprüfer, nach einem langen Einspruchsverfahren, nach einem langen finanzgerichtlichen Verfahren, nach einem langen BFH-Verfahren ergehen am 31.3.2013 jetzt die geänderten Steuerbescheide, unser gebeuteltes Reisebüro/Reiseveranstalter muss für die Jahre 2000, 2001 und 2002 jeweils EUR 10.000,– nachzahlen, also insgesamt EUR 30.000,–.

Es entstehen jetzt folgende Zinsen:

1. Für das Jahr 2000:
132 Monate (1.4.2002 bis 31.3.2013) x 0,5 % von EUR 10.000,– EUR 6.600,–

2. Für das Jahr 2001:
120 Monate (1.4.2003 bis 31.3.2013) x 0,5 % von EUR 10.000,– EUR 6.000,–

3. Für das Jahr 2002:
108 Monate (1.4.2004 bis 31.3.2013) x 0,5 % von EUR 10.000,– EUR 5.400,–

Gesamte Zinsbelastung EUR 13.140,–

Angesichts dieser extremen Zinsbelastung, wie sie bei einer Betriebsprüfung mit anschließendem außergerichtlichen Verfahren und ggf. auch mit gerichtlichen Verfahren entstehen können, ist einfach nicht mehr zu verstehen, dass unser bundesdeutscher Gesetzgeber untätig bleibt. Es wurden bereits mehrere Petitionsausschüsse der Landtage angerufen, es sind (s.o.) zahlreiche Verfahren anhängig.

Jetzt bleibt es also zu hoffen, dass die jetzige Regierung endlich tätig wird. Das Verfahren könnte sicherlich beschleunigt werden, wenn es mehr Zinszahlungen vom Finanzamt an die Steuerpflichtigen als umgekehrt gehen würde.

Es gibt aber noch einen ganz anderen interessanten Aspekt:

Auf die Bitte eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages hat sich der Wissenschaftliche Dienst bereits im Februar 2017 mit der

„Verfassung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen“

befasst. Das Fazit der am 16.2.2017 abgeschlossenen Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages enthält folgende

Feststellung:

„Im Interesse einer realitätsgerechten Besteuerung plädiert die Literatur schon länger mit einer Absenkung des Zinssatzes. Mit berechtigten Argumenten sieht sie die Regelung der §§ 233 a AO in Verbindung mit § 238 AO jedenfalls der Höhe nach für verfassungswidrig und anpassungsbedürftig an.“

Nachzulesen in der Ausarbeitung vom 16.2.2017 – WD 4-3000-011/17, S. 11 des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!

Wir würden uns freuen, wenn wir auch heute bei Ihnen das Problembewusstsein geweckt bzw. verstärkt haben, zu weiteren Auskünften sind wir gerne bereit.

Bonn, den 7. April 2018
(Stand: 4.3.2018)