Brief an
alle Mitglieder des Deutschen Bundestags
alle Mitglieder der Deutschen Landtage

München, Berlin, 30. März 2020

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Lage der Touristik ist derzeit sehr ernst. Noch nicht ganz erholt vom Schock der Thomas Cook Insolvenz, ist die Branche in der nächsten Krise. Diese ist in Bezug auf den touristischen Sektor in ihrem Mechanismus vergleichbar mit der Bankenkrise im Jahr 2008 für den Finanzsektor. Damals wollten Anleger massenweise ihre Einlagen ausbezahlt haben. Durch die dadurch entstehenden Liquiditätsengpässe drohte die Insolvenz und ein systemweiter Zusammenbruch, da die zur Funktionsfähigkeit des gesamten Sektors notwendige Zusammenarbeit innerhalb des Sektors völlig zusammenzubrechen drohte.

Ähnliches droht jetzt der deutschen Tourismusbranche: Geplante Reisen und Übernachtungen werden storniert und Neubuchungen werden aus Unsicherheit über die Entwicklung der Lage bereits seit Wochen nicht getätigt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher verlangen ihr bereits bezahltes Geld zurück. Die Anbieter müssen den Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre bereits getätigten Zahlungen „unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt”, zurückerstatten (BGB § 651h, Absatz 5). Eine Vorschrift, die in regulären Zeiten sinnvoll zum Verbraucherschutz beiträgt. Wir befinden uns aber nicht in regulären Zeiten – und dies schon seit der Thomas Cook Insolvenz nicht mehr. Diese Vorschrift gilt zwar nur für Pauschalreisen, aber eine ähnliche Situation besteht auch bei Einzelleistungen. Ob Ferienwohnungen, Flüge, Busse oder Hotels: es droht ein erheblicher Liquiditätsabfluss.

Weder die Reiseveranstalter noch die Leistungsträger haben die liquiden Mittel für Rückforderungen in solch außergewöhnlichen hohen Summen. Bei Reiseveranstaltern ist dies wesentlich dadurch begründet, dass diese Leistungsträger ganz oder teilweise vorab bezahlen. Bei Flugpauschalreisen wird der Fluganteil nahezu vollständig vorausgezahlt; Airlines haben indes ihre Refunds abgestellt, so dass je nach Reiseziel wesentliche Gelder nicht an Veranstalter zurückfließen. Es drohen Insolvenzen in großem Ausmaß.

Besonders betroffen, aber wenig beachtet sind zudem all diejenigen Dienstleister im Hintergrund, die eine Reisebuchung – ob online oder offline – erst möglich machen. Die IT- und Infrastrukturdienstleister (globale Distributionssysteme (GDS) und Internetbuchungsmaschinen (IBE), die Callcenter-Betreiber und Zahlungsdiensteanbieter sind für die gesamte Branche systemkritisch. Der Erhalt dieser Unternehmen ist durch einen Mittelfluss bedingt. Die nun mehr drohende Insolvenz dieser Unternehmen bedeutet, dass kein Anbieter mehr seine Produkte verkaufen könnte. Auch die Reisevermittler (online ebenso wie stationär), die ihre Kunden gerade täglich über die sich ändernde Lage informieren und bei Umbuchungen und Stornierungen helfen. Sie haben ihre Provisionen reinvestiert in Marketing sowie in die Bezahlung ihrer Mitarbeiter und IT-Dienstleister und müssen diese jetzt zurückzahlen. Ohne diese Leistung einer Vielzahl von Mitarbeitern, bricht jedoch die in aktuellen Zeiten so wichtige Kommunikation mit dem Kunden zusammen.

Fonds für Rückzahlungsverpflichtungen aus stornierten Reisen

Eine viel drastischere Maßnahme ist notwendig, um alle Unternehmen zu stützen, die sich aufgrund der Situation Forderungen gegenüber sehen, die sie -, unverschuldet und außerhalb Ihres Einflussbereiches – nicht erfüllen können. Die Bankenkrise hat gezeigt wie es geht. Ein neuer Sonderfonds als Sondervermögen des Bundes ist notwendig.

Die Reiseveranstalter lagern dorthin die Rückzahlungen an ihre Kunden aus und treten gleichzeitig die Forderungen gegenüber Leistungsträger ab. Die Leistungsträger oder Reisevermittler könnten ebenfalls ihre Rückzahlungsverpflichtungen auslagern. Die Bundesregierung übernimmt als Schuldner.

Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz wurde auf die Realwirtschaft ausgeweitet; aber eine punktuelle Unterstützung von Unternehmen hilft nicht, den Systemzusammenbruch abzuwenden und die vielfältige Tourismuslandschaft in Deutschland zu erhalten. Es bedarf eines mutigen Schritts. Es ist nicht die Zeit für Einzellösungen.

Was unterscheidet die Tourismusbranche von anderen Branchen?

Im Gegensatz zu anderen Branchen, ist die Touristik aufgrund der zahlreichen Reisewarnungen und Einschränkungen bereits seit rund vier Wochen von den verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Nicht nur, dass aus Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Lage bereits seit drei Wochen keine Neubuchungen stattfinden, muss die deutsche Tourismusbranche zudem auch noch etwa sechs Monate Geschäftsbetrieb rückabwickeln. Denn bereits vor Monaten getätigte Urlaubsbuchungen, darunter auch für die bevorstehenden Osterferien, müssen storniert und an die Verbraucher rückerstattet werden. Dadurch entsteht vielfach ein großer Liquiditätsengpass. Es ist keine Frage der Stärke oder Schwäche der Unternehmen, sondern hauptsächlich der Situation geschuldet, dass alle Produkte, die man verkauft hat, plötzlich nicht mehr verfügbar sind.

Wer ist davon betroffen?

Nicht nur Reiseveranstalter sind davon betroffen, sondern auch Leistungsträger (Hotel, Flug, Bus, Event, usw.) und Reisevermittler, die nun Provisionen und Umsätze zurück bezahlen müssen. Aber auch die Systeme dahinter stecken in großen Schwierigkeiten.

Systemkritische Dienstleister sind ebenfalls betroffen

Viele Systeme, die im Hintergrund laufen sind ebenfalls betroffen. Ein Beispiel dafür ist das zentrale Abrechnungssystem der Flugindustrie (Billing and Settlement Plan, kurz BSP), dass seit Wochen nicht mehr auszahlen kann, weil Airlines die Gelder ebenfalls nicht zurückbezahlen können. Das kann dazu führen, dass dieses Abrechnungssystem innerhalb der nächsten zwei Wochen Insolvenz anmelden muss. Die Konsequenz daraus wäre, dass nach der Krise keiner mehr Flugtickets ausstellen kann und wir auf den Stand der 50er Jahre zurückgeworfen werden. Auch sogenannte Consolidator können ihre Rückzahlungen an Geschäftspartner, wie Reiseveranstalter, nicht mehr leisten da die BSP-Rückabwicklung nicht mehr möglich ist. Das führt dazu, dass alle, die ebenfalls Rückzahlungsverpflichtungen haben (Ticketaussteller, Veranstalter, etc.) ebenfalls nicht auszahlen können. Sollte der Consolidator dadurch ebenfalls Insolvenz anmelden, können auch viele andere Unternehmen keine Flüge mehr anbieten.

Gutscheine ersetzen nicht den Zahlungsverkehr

Dazu kommt, dass Zahlungsströme komplett gestört sind, da alle ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Das Innenverhältnis ist insofern gestört, dass beispielsweise Reisebüros Provisionen an den Reiseveranstalter zurückzahlen müssen, Reiseveranstalter an den Kunden, Airlines an den Kunden und Reiseveranstalter und Hotel an Veranstalter und so weiter. Das verursacht nicht nur untereinander Probleme – und das auch nach der Krise – nämlich dass Zahlungsprovider die für die Abwicklung von Zahlungen zum Beispiel der Kreditkarte zuständig sind, nun Gelder zurückhalten und nicht mehr auszahlen, um eigene Schäden zu vermeiden (ähnlich wie bei Thomas Cook). Das heißt keiner kann mehr Kreditkartenzahlungen entgegennehmen und somit kann die wichtigste Zahlungsart nicht mehr genutzt werden. Davon sind auch die Banken betroffen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dies ebenfalls das Lastschriftverfahren betreffen wird. Hierdurch wird dem Markt weitere Liquidität entzogen.

Wie bekommt man die rückzahlungspflichtigen Buchungen im Fonds organisiert?

Eine Handvoll sogenannter Midoffice-, Backoffice- und Finanzbuchhaltungssysteme verwalten in ihren Systemen die Buchungen aller Akteure im deutschen Touristikmarkt. Dies beinhaltet die Forderungen von Kunden, Provisionsabwicklungen oder auch Abrechnungen von Zulieferern. Diese könnten deshalb über Schnittstellen eine zentrale Rolle in der Lieferung und Verwaltung der rückzahlungspflichtigen Buchungen an den Fonds spielen. Der Fonds könnte in Form einer Datenbank installiert werden. Für den Aufbau und die Verwaltung könnte eine niedrige Servicegebühr installiert werden, die an die Midoffice-, Backoffice- und Finanzbuchhaltungssysteme zu entrichten wäre. Dies würde diese ebenfalls bei der Aufrechterhaltung ihres Betriebes unterstützen.

Wie kann eine Abwicklung erfolgen?

Touristikunternehmen, die Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber Kunden aus Stornierungen erfüllen müssen, müssen diese nun an die installierte Datenbank melden. Dies kann automatisch über systemische Schnittstellen abgewickelt werden. Dort müsste der Vorgang anhand gewisser Kriterien (Reisezeitraum, zu dem Zeitpunkt gültige Reiseregularien etc.) geprüft und anschließend anerkannt werden. Diese Kriterien müssen laufend entsprechend der Entwicklungen der Krise und seiner Reiseregularien angepasst werden. Anschließend wird das Geld entsprechend durch den Fonds ausbezahlt.

Wie erfolgt die Rückzahlung an den Staat?

Die Reiseveranstalter, Leistungserbringer und Reisevermittler müssen sich wiederum verpflichten innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens von beispielsweise drei Jahren bis zehn Jahren, die Zahlungen zurückzuzahlen. Der Zinssatz kann bonitätsabhängig festgesetzt werden. Veranstalter, die unverzüglich zahlen, können auch nur mit einem Bearbeitungsentgelt belastet werden. Hierdurch wird auch sichergestellt, dass alle Kunden ihre Gelder von einer Stelle erhalten und Wettbewerbsverzerrungen nicht eintreten.

Keine Änderung der Verbraucherrechte

Unabhängig von der Frage, ob aufgrund der vorliegenden völlig außergewöhnlichen Lage eine Anpassung der Verbraucherrechte möglich ist, bietet diese Lösung die Chance, Verbraucherrechte unangetastet zu lassen, ohne die Insolvenz einer großen Zahl von Veranstaltern zu verursachen. Da die Bundesrepublik im Fall einer Insolvenz ohnehin haften wird, ist eine zusätzliche Belastung der Kassen nicht gegeben.

Gutschein versus Fondslösung?

In beiden Fällen muss der Staat in die Haftung gehen. Gutscheine helfen nur auf den ersten Blick und sind lediglich ein gutes Instrument, um Zeit zu gewinnen beziehungsweise einen Fonds aufzusetzen. Das dürfte aber nicht ausreichen, ohne die hinten angelagerten Systeme mit zu involvieren. Diese funktionieren aber nicht mit Gutscheinen; ein Hochfahren auch für die Gutscheinausteller wird daher nicht mehr möglich sondern ist nur ein Zeitgewinn. Auch ist eine Lösung in der Geld fließt, für alle Beteiligten besser weil sie dazu führt, dass alle ihre Liquidität behalten und auch gleichzeitig echtes Geld fließt – was auch den Bürgern helfen kann für einen Neustart nach der Krise. Die Höhe der Staatshaftung läuft aufs Gleiche und die Fondslösung hilft allen Betrieben ob Veranstalter, Vermittler oder Leistungsträger. Ein weiterer Vorteil dieser Lösung ist, dass sie absolut gesetzeskonform ist, da sie nicht gegen die Pauschalreiserichtlinie verstößt.

Wer unterstützt den Fondslösungsvorschlag?

Gemeinsam mit dem BTW und zahlreichen anderen Verbänden haben wir dies bereits neben der Gutscheinlösung als Übergangsmittel unter anderem in einem Brandbrief an Frau Merkel angesprochen, das heißt der Vorschlag wird von zahlreichen touristischen Verbänden unterstützt. Auch von den Gegnern der Gutscheinlösung wird ein Fondslösung vorgeschlagen. Beispielsweise hat der Verbraucherzentrale Bundesverband diese Lösung in seiner letzten Presseerklärung gefordert.

Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen

Michael Buller                                                                 Jochen Szech
Vorstand                                                                           Präsident
Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR)                Allianz Selbständiger Reiseunternehmen – Bundesverband e.V.